Das perfekte Lateinamerika-Auslandsjahr?

6 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Hallo,

ich finde dein Vorhaben gut und freue mich vor allem, dass du auch nicht-englischsprachige Länder ins Auge fasst!

Außerdem muss ich sagen, dass ich es sehr reif von dir finde, dass du jetzt schon anfängst, Geldgeschenke für dein Vorhaben zurückzulegen!

Ich kenne mich mit Österreich leider nicht so genau aus wie mit Deutschland, weiß aber, dass es auch in Österreich Kindergeld gibt, und manche Organisationen bieten zudem Stipendien für Kinder aus einkommensschwachen Familien an. Bei meiner Austauschorganisation AFS beispielsweise sind diese Stipendien in Österreich sogar höher als in Deutschland und können bei extrem niedrigen Einkommen bis zum Vollstipendium gehen. Ich empfehle dir deshalb, das mit dem Sparen auf jeden Fall schon einmal anzufangen, und dir ansonsten wegen dem Geld noch nicht allzu viele Gedanken zu machen.

Die allermeisten Eltern stehen der Idee des Austauschjahres erst einmal ablehnend gegenüber, das ist normal. Hier empfehle ich dir, deiner Mutter Erfahrungsberichte von Austauschschülern in Lateinamerika zu lesen zu geben oder noch besser, sie ehemalige Austauschschüler und deren Eltern persönlich treffen zu lassen; das geht zum Beispiel bei Info-Veranstaltungen der Organisationen. Wenn die Eltern merken, dass auch andere Kinder (und deren Eltern) schon so ein Austauschjahr nicht nur überlebt, sondern dank diesem auch eine großartige persönliche Entwicklung erlebt haben, sind sie oftmals auch zum ersten Mal empfänglich für die Idee, dies auch ihrem eigenen Kind zu ermöglichen.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Tatsache, dass lateinamerikanische Länder tendenziell eher ärmlich und politisch unruhig sind als europäische Länder. Du kannst dich allerdings darauf verlassen, dass absolut jede Organisation, selbst die „geldgeilen“, Länder sofort aus dem Schüleraustauschprogramm nehmen, wenn die Situation vor Ort zu gefährlich wird, schon aus Eigeninteresse. In den jeweiligen Ländern wissen die Gasteltern außerdem sehr gut über ihr Land Bescheid, und geben ihren Gastschülern entsprechend Regeln, die unbedingt zu beachten sind. So ist es in manchen Ländern so, dass man ab einer bestimmten Uhrzeit nicht mehr nach draußen darf, oder nicht allein, oder nicht in bestimmte Viertel...... Ich würde gerade Schüleraustausch deshalb als sicherste Art, potentiell „gefährliche“ Länder zu bereisen, bezeichnen. Wenn man als Erwachsener zum Beispiel einen Uni-Austausch macht, liegen alle Entscheidungen letztendlich bei einem selbst, eben weil man erwachsen ist; als minderjähriger Austauschschüler ist man hingegen immer von der Erlaubnis der Organisation und der Gasteltern abhängig, die Situationen nun einmal besser einschätzen können als jemand, der zum ersten Mal in diesem Land ist (unabhängig davon, wie alt diese Person ist).

Da ich selbst nicht in Lateinamerika, sondern in Asien war, kann ich dir leider keine Länderempfehlung geben, aber auch hier empfehle ich dir nochmals Erfahrungsberichte.

Mein jüngerer Bruder (der nicht mehr lebt) war vor 20 Jahren in Südamerika. Er war eigentlich Mathelehrer, hat aber, als er mit 38 Krebs bekam, alles hingeschmissen. Die Ärzte gaben ihm noch drei Monate. Schwarzer Hautkrebs mit Metastasen. Beschwerden hatte er aber nicht. Er flog nach Rio („nur, damit ich es gesehen habe“), reiste schon nach zwei oder drei Tagen ab („Trubel hoch fünf und darüber breitet ein Riesenchristus aus Sichtbeton seine Arme“) und kam nach São Paolo; da blieb er ein halbes Jahr, lernte dort Portugiesisch und jobbte im Büro einer Im- und Export-Firma. Da waren die Ärzte schon widerlegt. Mit dem Geld, das er noch von hier (Österreich) hatte und dem, das er dort verdient hatte, machte er mit einem US-Amerikaner, den er in Brasilien kennengelernt hatte, ein weiteres 1/2 Jahr eine Backpacker-Tour durch den Rest von Südamerika, also das spanischsprachige. Sie schauten sich die Sehenswürdigkeiten an, Macchu Picchú, Feuerland, Buenos Aires, Titicacasee usw. Um Deine Frage zu beantworten, hier ein paar Zitate von ihm:

  • „Portugiesisch habe ich in São Paolo schnell gelernt in Wort und Schrift - und schnell wieder vergessen. Brasilien: da fehlt die Schwere, das falsche Land für einen Krebskranken, alles geht mit Leichtigkeit, alles bleibt an der Oberfläche. In Brasilien hatte ich deshalb das größte Gefühl von Sicherheit. In den Millionenmetropolen gibt es täglich Dutzende Morde, aber man spürt‘s nicht. Ich hätte auch 5 Mal heiraten können. Nicht, weil ich der reiche Westler war, sondern weil alles so unkompliziert ist. Wer als Austauschstudent oder au pair nach Brasilien ginge, denkt am ehesten, dass er gut aufgehoben ist.“
  • “Das Spanische, das ich auf der Reise durch die anderen Länder gelernt habe, ist erdenschwer und blieb an mir hängen. Wenn ich den Krebs überlebe, dann werde ich zurück in Österreich bestimmt bis ins Alter Spanisch sprechen.“
  • “Das einzelne Menschenleben gilt in Südamerika nichts. Das Tier gilt erst recht nichts. — Das Gegenteil zu denken ist typischer Ausdruck westlicher Dekadenz.“
  • “Wenn ich den Rest meines Lebens in Südamerika verbringen wollte, dann in Peru. Reich und arm, Spanier, Schwarze, Indios, die Abgrenzung und der Hass sind da nach meinem Eindruck am geringsten.“

Nach 1 Jahr, als er schon 9 Monate hätte tot sein müssen, kam er zurück nach Wien. Er sagte, er hätte immer noch keine Beschwerden (außer Müdigkeit), jedoch wirkte er, auch wenn er braungebrannt und sehnig durchtrainiert aussah, knochig und ausgezehrt. Alle erschraken im ersten Moment. Er wirkte wie ein solariumgebräunter Franz Kafka im Endstadium der Tuberkulose.

Nach weiteren drei Monaten, es war kurz vor 9/11, sagte er, er flöge nochmal nach Lima. Er habe dort an der Universität Freunde gewonnen, ein Professor sei dabei. Sie hätten immer bei einem Bier und einem gebratenen Meerschweinchen in einer Bar Schach gespielt. Das wolle er noch mal erleben. Mein Bruder meinte nun, es könne sein, dass er dieses Mal nicht mehr zurückkehre, und wir alle verabschiedeten sich von ihm in diesem Sinne. Am 9. September 2001 war mein Bruder in jener Bar. Der Professor hatte sich an dem Tag verspätet, weil sich der Assistent an seinem Institut den Fuß gebrochen hatte. Als er schließlich zum Schachspielen doch noch eintraf, saß mein Bruder vornübergesunken am Tisch, den Kopf mit geschlossenen Augen auf dem leeren Schachbrett.

“Der Señor schläft“, sagte der Kellner.

So ist mein Bruder gestorben.

elverano  20.02.2020, 00:55

Tolle Story. Qué descanse en paz (Ruhe er in Frieden).

AllieTheTree 
Fragesteller
 20.02.2020, 06:11

Wow, danke für diese Geschichte. Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es sein muss, so wtwas mit fremden zu teilen. Nochmals vielen dank.

tolle Pläne. Es gibt doch diese Zeit, mit 16, in der irgendwie alle auf ein Auslandsjahr oder Auslandshalbjahr hin nach Neuseeland oder USA reisen. Ich würde, wenn das Geld ein Problem ist, nach der Schule für ein Jahr wegfahren. Es gitb das diese Work&Travel-Programme, die einfach toll sind. Du bist dann auch schon etwas älter und kannst alles alleine bestimmen.

Und egal in welches Land du gehst, es wird immer toll werden, wenn du selber dich darauf einlassen kannst, wenn du offen bist und Spass und Freude an anderen Kulturen hast.

Deine Mutter hat Recht und ich denke dass Lateinamerika auch nichts für Minderjährige ist. Das ist ein anderes Pflaster.

wenn du 18 bist, kannst du arbeiten gehen, geld verdienen und dann leben und reisen wo du willst.