Ausnüchterungszelle auch für Nüchterne?

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Hallo Sorgenkindle,

... um auf Deinen ersten Satz gleich zu antworten: "Grundsätzlich gilt, dass in einem demokratischen Staat, wie (in) der Bundesrepublik Deutschland die Polizei dazu verpflichtet ist, sich als Exekutive an Recht und Gesetz zu halten. Zu den elementaren Aufgaben der Polizei gehört die Prävention (auch Gefahrenabwehr genannt, also das Verhindern von Regelverletzungen) und die Repression (auch Strafverfolgung genannt, also das Tätigwerden bei Regelverletzungen)."

Polizei ist zwar Ländersache, aber in jedem Bundesland gibt es ein fast gleichlautendes/gleichgeltendes SOG - ein Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Im Bundesland Hessen heißt dies HSOG. Das HSOG verpflichtet alle genannten hessischen Behörden (insbesondere die Polizei), Gefahren zum Nachteil von Rechtsgütern zu verhindern/abzuwenden und Störungen zu beseitigen. Ein Rechtsgut z. Bsp. ist die körperliche Unversehrtheit eines Menschen.

Was heißt das nun möglicherweise in Deinem beschriebenen Sachverhalt:

Dein Mann war (mehr oder minder) alkholisiert und war möglicherweise nicht mehr in der Lage, eigenständig - und für sich gesehen gefahrlos - zu handeln (Stichwort: Herr seiner eigenen Sinne; Herr seiner selbst). Ein solcher Zustand könnte möglicherweise durch das "Anrempeln" und das spätere "unkontrollierte Gesamtverhalten" begründet sein. Grundsätzlich gilt im Gefahrenabwehrrecht, dass eine in hilflose Lage befindliche Person (durch Alkohol, durch eine Krankheit oder körperliche Gebrechen) auch gleichzeitig eine Gefahr für sich, oder auch andere bedeuten kann. Auf Deutsch: Die Person kann sich - im momentan festgestellten Zustand - verletzen, oder verletzt werden. Im minderschlimmsten Fall können die erlittenen Verletzungen zu einem kurzen oder längeren Krankenhausaufenthalt führen ... im schlimmsten Fall zum Tode eines Menschen. Da Dein Mann kein Fall für die Unterbringung in ein Krankenhaus dargestellt hat, haben die Polizisten die Überstellung Deines Mannes an einen "geeigneten" Familienangehörigen als "Mindermaßnahme zur Gefahrenabwehr" gesehen. Zu diesem Zweck ist es nun mal erforderlich, dass die Polizei Deinen Mann vor Ort nicht die Richtung nach Hause zeigt, einen "Klapps auf den Hintern" gibt, und ihn anschließend sich selbst überläßt ... sondern dass gewährleistet ist, dass Dein Mann "sicher und gesund" nach Hause kommt, und dort einem Angehörigen übergeben wird, der sich in der Lage fühlt, sich um einen - vom Alkohol - angeheiterten Menschen kümmern zu können.

Du warst leider nicht zu Hause, und auch telefonisch irgendwie nicht erreichbar. Ich gehe davon aus, dass Dein Mann auch nicht mehr in Lage war, den Polizisten irgendwie eine Hilfestellung zu geben, wie man Dich - oder eine andere Person seines Vertrauens - noch erreichen kann. In diesem Fall haben die Polizisten zu prüfen, ob der Mensch trotzdem zu Hause und ohne eine Gefahr für sich, sich selbst überlassen werden werden kann. Ich gehe davon aus, dass die Polizisten die Gesamtumstände vor Ort so bewertet haben, dass sie von einer Eigengefährdung Deines Mannes - wenn sie die Wohnung verlassen - ausgegangen sind, und ihn zum Zwecke der Gefahrenabwehr dem polizeilichen Gewahrsam überstellt haben.

Stell Dir doch mal folgende gegenteilige Situation vor: Die Polizisten bringen Deinen Mann nach Hause, und verschwinden wieder. In diesem Zustand fällt Dein Mann unglücklich im Bad, verletzt sich erheblich am Kopf, wird bewußtlos, fängt an zu bluten und regt sich nicht mehr und wird - fast blutleer - von Dir irgendwann gefunden. Das Geschrei in einer solchen Situation, und der Vorwurf an die Polizei, warum sie Deinen Mann betrunken zu Hause und alleine gelassen haben, ist genauso groß, wenn nicht noch größer.

Ich gehe daher davon aus, dass die Polizisten im Sinne der Gefahrenabwehr eine mögliche Verletzung und fortgesetzte hilflose Lage Deines Mannes in der Wohnung verhindern wollten, und dass Dein Mann aus diesem Grund in "polizeilicher Obhut" genommen wurde. Eine Ingewahrsamnahme dauert in der Regel solange, bis der gesetzliche Grund für ein Festhalten/eine Sistierung weggefallen ist, spätestens jedoch bis zum Ende des darauffolgenden Tages. Im HSOG ist dies gesetzlich verankert im § 32 HSOG, nachlesbar unter "www.rv.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/14w2/page/bshesprod.psml/action/portlets.jw.MainAction;jsessionid=71406C58F903F7E4B1EF78DE5E6ED72C.jpj5?p1=13&eventSubmit_doNavigate=searchInSubtreeTOC&showdoccase=1&doc.hl=0&doc.id=jlr-SOGHEpP32&doc.part=S&toc.poskey=#focuspoint"

Was kannst Du/könnt ihr nun tun, um für Dich/euch "gesetzliche" Klarheit in dieser Angelegenheit zu bekommen?

Unter "gutefrage.net/frage/wie-erwirkt-man-eine-dienstaufsichtsbeschwerde-gegen-eine-polizistin" wird in der hilfreichen Antwort eine Möglichkeit von mir ab dem Passus Dienstaufsichtsbeschwerde beschrieben. Diese Form, um polizeiliches Handeln speziell in Deines Mannes Fall, aus Sicht der Behörde erklärt zu bekommen, kannst Du nutzen. IdS MrDirekt

Liebe Menschen,

vielen Dank für die Hinweise und Tipps zur Sach- und Gesetzeslage bezüglich meiner Frage zur Ausnüchterungszelle. Denn genau darum ging es mir.

Worum es mir nicht ging, ist die Frage, ob mein Mann mich evtl. belügt oder ähnliches. Das finde ich schon selbst raus bzw. ich kann ihm da vertrauen. Und ja, nachdem mein Mann ausgeschlafen hatte, konnte er sich auch entsinnen, doch mehr als angetrunken gewesen zu sein. Und das ärztliche Protokoll hat dies auch gezeigt sowie klar war, dass ihn der Fall zu Boden wohl aus der Bahn geworfen hat (Schwindel und Erbrechen). Und natürlich wird er VERBAL nicht gerade in Dankeshymnen ausgebrochen sein, als er mit zur Polizei sollte. Alle anderen Vermutungen, was er noch alles angestellt haben könnte, halte ich übrigens für fehl am Platze. Ich weiß auch, dass wir es hier nicht mit einer objektiven Schilderung zu tun haben. Aber Vertrauen sollte man sich als Paar schon können! Ich will ja keine Gerichtsverhandlung führen! Und wie heißt es so schön: Unschuldig, bis zum Beweis des Gegenteils...

Natürlich war ich erstmal geschockt, dass die Polizisten meinen Mann mitgenommen haben, denn er war ja nicht völlig handlungsunfähig (eingeschränkt sehr wohl) und ich hab mir natürlich Sorgen um ihn gemacht.

Ich bin dennoch sehr froh dass es:

a) Menschen gibt, die genügend Zivilcourage beweisen und Polizei und Krankenwagen rufen, wenn sie beobachten, dass jemand zu Schaden kommen könnte.

b) Polizisten gibt, die Ihre Verantwortung wahrnehmen und sich um Menschen in offensichtlichen Notlagen kümmern

c) Menschen da draußen gibt, die sich sachlich zu solchen Fragen äußern und fern von Spekulationen, Mutmaßungen, Vorurteilen sind. Das ist doch eigentlich auch genau das Anliegen dieses Forums. Großen Dank v. a. an Mr. Direkt!

d) Menschen da draußen gibt, die überflüssige und jeglichem Sinn enbehrende Antworten kommentieren. Auch wenn mensch darüber natürlich hinweg sehen kann, sollte es immer wieder mal gesagt werden, dass dieses Forum nicht für Frust, Alltagslaunen und/oder Selbstdarstellung da ist.

Ich bin übrigens selbst fern davon, die Polizei pauschal als böse Machtinstanz zu verurteilen. Hatte selbst noch keinen Konflikt mit den Herrn und Frauen Beamtinnen und habe auch genügend Freundinnen, die diesen Job ausüben. An dieser Stelle meinen Respekt all denen, die ihren Job da draußen gut machen. Das ist wirklich verdammt harter Tobak.

Aber hey, dennoch gibt es auch schwarze Schafe, wie in jedem Berufsfeld, und an die möchte ich auch mich oder meinen Mann nicht geraten wissen.

Mein Mann hat seine Lektion sicher daraus gelernt, denn was steckt so schön im Wörtchen Fehler: Helfer :-)

Also, vielen Dank für Eure Tipps. Ich glaube nicht, dass es einer Dienstaufsichtsbeschwerde bedarf. Wir sind jetzt ein wenig schlauer und ihr habt sicher auch einiges gelernt. Schöne Sache!

MrDirekt  05.07.2011, 16:41

Hi Sorgenkindle,

... Deine Antwort ordne ich ein in die Rubrik "Balsam für die Seele".

Danke für den Stern :-)

IdS

MrDirekt

Die "Ausnüchterungszelle", wie es sie seit ewigen Zeiten gegeben hat, ist doch Geschichte.

Niemand soll mehr eine Nacht in Gewahrsam verbringen, nur weil er betrunken ist. Doch so klar diese Anweisung scheint, so schwer ist sie umzusetzen.

Offenbar wurde seitens der Polizei unter "betrunken" etwas anderes verstanden. "Wenn jemand handlungsunfähig ist, ist er nach dem Gefahrenabwehr- Paragrafen ein Fall für die Polizei". Aber wenn er das nicht ist und kein sonstiger Grund vorliegt, ihn festzunehmen, gehört er in eine Klinik".

Wende dich mit deinem Anliegen direkt an die vorgesetzte Dienststelle der handelnden Polizisten.

Die Polizeibeamten sollten an den alten Grundsatz erinnert werden, "Sie haben es mit einem Menschen zu tun. Und die haben Grundrechte".

Ich gehe, wie andere Poster auch, davon aus, dass es ein Gewahrsam zum Schutz des Mannes war. Klar, jeder der eingesperrt wird, fühlt sich erstmal zu unrecht eingesperrt... es sind immer die anderen schuld.

Um Klarheit über die Motive der Freiheitsentziehung zu bekommen, sollte man - das geht auch im Nachhinein - Widerspruch gegen die polizeirechtliche Maßnahme einlegen. Die Behörde muss dann genau begründen, warum und wieso die Freiheitsentziehung stattfand.

Wenn man dann weiss, warum er eingesperrt wurde, dann kann man über weitere Maßnahmen nachdenken und ggf. über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung das Verwaltungsgericht urteilen lassen.

Grundsätzlich unterliegt jede Freiheitsentziehung einem Richtervorbehalt. Deshalb auch die Frage, ob die Freiheitsentziehung durch einen Richter angeordnet wurde oder ob - Gefahr im Verzuge - die Polizeibeamten aus eigener Befugnis heraus die Freiheitsentziehung angeordnet haben.

Darf die Polizie jemanden gegen seinen Willen ohne ersichtlichen Grund mitnehmen und in eine Zelle sperren?

  1. Du warst nicht dabei gewesen und hast diesen vermeintlichen Fall durch einen Dritten geschildert bekommen. Nämlich nur deinen Mann.

  2. Sehr objektiv ist dein Kenntnisstand des Sachverhaltes also bislang nicht.

  3. Genauere Informationen gibt es nur auf dieser besagten Dienststelle, oder der vorgesetzten Direktion.

  4. Für einen vorübergehenden Gewahrsam gibt es immer Gründe, ob dein Mann dir hier wahrheitsgemäß berichtet hat ist ziemlich fraglich. Möglicherweise erinnert er sich auch nicht mehr. Oder möchte sich nicht erinnern. Er ist dir in dieser Sache auch keine Rechenschaft schuldig.

  5. Möglicherweise hat der Einsatz noch weitere Konsequenzen, je nachdem war wirklich vorgefallen ist. Zumindest aber werden die Kosten für den Gewahrsam noch in Rechnung gestellt.