Kündigungsschutz Schwerbehinderte und Abmahnung wegen Arbeitszeit trotz nicht vorhander Zeitschaltuhr?
Hallo zusammen, meine Kollegin, 55 und Schwerbehindert, hat nun eine zweite Abmahnung innerhalb von 8 Wochen erhalten, da sie Ihre Minusstunden von 9 Stunden, richtig, 9 an der Zahl, nicht wieder abgearbeitet hat. Sie ist schwerbehindert und hat momentan einen kranken Vater im Krankenhaus. Dazu kommt der weite Fahrtweg pro Strecke mit mind. 45 Minuten, im Moment immer wieder Staus, sie selbst hat gerade viele Nachsorgeuntersuchungen aufgrund von 2 Knie Ops und die Minusstunden darf sie lt. Personalcheffin nicht ausgleichen, trotz vorhandenen Urlaubstagen. Eine Zeitschaltuhr gibt es nicht, ihre Arbeitszeiten wurden von wem auch immer notiert, in all unseren Arbeitsverträgen steht nur... 40 Stundenwoche und die Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten. Dazu wurde ihr nun nahe gelegt, ab kommenden Montag von 40 auf 30 Stunden wöchentlich zu gehen, da sie ihre Stunden nicht mehr schafft. Sie schlug erst mal 35 Stunden vor, denn 10 Stunden weniger sind schon eine große Geldeinbuße. Das wurde nicht akzeptiert. Ihre jetzigen 9 Minusstunden werden beim nächsten Gehalt abgezogen. Sie tut mir so leid und ich finde das Verhalten der Personalcheffin so ungerecht. Darf sie überhaupt gekündigt werden? Sind die Abmahnungen rechtens? Ihr Vorgesetzter lobte bei dem Termin sogar ihre fachlichen Kompetenzen und dass er eigentlich zufrieden mit ihr ist. Unglaublich. Ich würde meiner Kollegin gerne zur Seite stehen. Was kann ich ihr empfehlen? Welche Tipps? Für Antworten wäre ich Euch sehr dankbar.
5 Antworten
Hallo und guten Abend,
So wie sich die ganze Sache liest ist es nur noch eine geraume Zeit bis zur Kündigung. Sie kann und sollte relativ zügig zu einem Fachanwalt gehen.
Von Abmahnungen selbst ist keiner befreit.
Sobald die Kündigung ausgesprochen ist muss vorher das Versorgungsamt befragt werden. Dabei wird sie vom Amt befragt. Sollte es Unstimmigkeiten geben wird das Amt ihr Anraten zum Sozialgericht zu gehen.
Was sie auf jedemfall nicht machen sollte ist ein Aufhebungsvertrag unterschreiben. Das ist die billigste Art Behinderte los zu werden da AG keine lust auf Gericht haben.
Jede Zerüttungsmethode soll sie sich aufschreiben und dem Anwalt mitteilen.
Fakt ist:
Stempeluhr nicht vorhanden also Beweislast des Arbeitgeber.
Sie hat bestimmt in der Vergangenheit auch Mehrarbeit geleistet trotz Behinderung.
Dem AG muss und kann egal sein wie privat
die Verhältnisse sind, aber ein guter Chef ist meist auch sozial eingestellt.🤣
Zukunftsweisend leider nach einer neuen Arbeit Ausschau halten.
Stempeluhr nicht vorhanden also Beweislast des Arbeitgeber.
Minusstunden können nicht entstehen,
wennes mit einem Arbeitnehmer keine Vereinbarung über die Führung eines Arbeitszeitkontos gibt (sei es elektronisch oder händisch/Papier und Bleistift).
Selbst dann, wenn es ein Arbeitszeitkonto gibt, muss es Regelungen
enthalten, wie mit entstandenen Plus- und Minusstunden umzugehen ist.
Dem AG muss und kann egal sein wie privat die Verhältnisse sind
Wieso "muss"?!?! Aber gut wenigstens, dass Du das "sozial eingestellt" ergänzt hast
Im Übrigen: Wenn der Arbeitgeber hier sein Direktionsrecht ausüben kann und es in Zusammenhang mit der Erkrankung des Vaters zu Problemen kommt, dann hat der Arbeitgeber zu beachten, dass er seine Weisungsbefugnis nach der Gewerbeordnung GewO § 106 nur "nach billigem Ermessen" ausüben darf - er muss also zwingend die persönlichen Belange des Arbeitnehmers berücksichtigen und mit den betrieblichen Belangen abwägen.
Überwiegen objektiv die persönlichen Belange die betrieblichen, darf der Arbeitgeber seine Maßnahmen nicht durchsetzen (im Streitfall müsste darüber ein Gericht entscheiden).
Ein besonderer Kündigungsschutz für Schwerbehinderte besteht entgegen der landläufigen meinung nicht.
Nach §85 SGB IX gibt es jedoch eine besondere Verfahrensvorschrift zu Beachten. Die Kündigung eines Schwerbehinderten Bedarf der Zustimmung des Integrationsamtes.
Das Integrationsamt prüft nur, ob die Kündigung mit der Behinderung im Zusammenhang steht und daher eine Diskriminierung darstellt. Besteht ein solcher Zusammenhang nicht, wird das Integrationsamt die Zustimmung erteilen.
Dies Bedeutet, ein Schwerbehinderter kann wie jeder andere Arbeitnehmer Betriebs-, Personen-, oder Verhaltensbedingt gekündigt werden.
Unabhängig hiervon kann selbstverständlich eine Abmahnung vorhergehen.
Nach den hier geschilderten Sachverhalt wird anscheinend eine Verhaltensbedingte Kündigung aufgrund der Minusstunden beabsichtigt. Wenn sie die Minusstunden entgegen Ihrer arbeitsvertraglichen Pflicht nicht abgebaut hat, sehe ich eine reelle Chance, das die Kündigung durchgezogen wird.
Auch ist es egal, ob eine Zeituhr existiert. Entscheidend ist, das die niedergeschriebenen Arbeitszeiten der wahrheit entsprechen. Im Falle der Kündigung liegt die Beweispflicht beim Arbeitgeber.
Die Aufgeführten Gründe des langen Arbeitsweges und des Kranken Vaters sind aus meiner sicht keine Rechtfertigung. Dies sind Umstände, die nicht Behinderte Arbeitnehmer genauso treffen könnte.
Zu den Minusstunden sind Deine Aussagen falsch, wenn es mit einem Arbeitnehmer keine Vereinbarung über die Führung eines Arbeitszeitkontos gibt (sei es elektronisch oder händisch/Papier und Bleistift).
Selbst dann, wenn es ein Arbeitszeitkonto gibt, muss es Regelungen enthalten, wie mit entstandenen Plus- und Minusstunden umzugehen ist.
Ohne diese Voraussetzungen können keine Minusstunden entstehen, die dem Arbeitnehmer zum Nachteil gereichen!
Auch eine Schwerbehinderung schützt nicht vor einer Abmahnung oder Kündigung!
Vor einer Kündigung muss allerdings das Integrationsamt hinzu gezogen werden
Die Minusstunden haben NICHTS mit ihrer Schwerbehinderung zu tun.
Ihr kranker Vater ist ihr privates Problem.
Eine Fahrzeit von 45 Minuten ist nicht ungewöhnlich. Jeder Arbeitnehmer hat dafür zu sorgen, dass er pünktlich zur Arbeit erscheint! Ob schwerbehindert oder nicht!
Arztbesuche, die durch den Arzt bestätigt werden, werden angerechnet und zählen mit Attest nicht als Minus
Der Arbeitgeber kommt deiner Freundin sehr entgegen! Sie sollte das Angebot mit 30 Stunden annehmen - sonst hat sie bald gar keine Stelle mehr!
Die Minusstunden haben NICHTS mit ihrer Schwerbehinderung zu tun.
Das ist zwar richtig, aber (zu Minusstunden) ...
Zu Minusstunden kann es nur kommen, wenn es mit einem Arbeitnehmer Vereinbarung über die Führung eines Arbeitszeitkontos gibt (sei es elektronisch oder händisch/Papier und Bleistift).
Selbst dann, wenn es ein Arbeitszeitkonto gibt, muss es Regelungen enthalten, wie mit entstandenen Plus- und Minusstunden umzugehen ist.
Ohne diese Voraussetzungen können keine Minusstunden entstehen, die dem Arbeitnehmer zum Nachteil gereichen!
Ihr kranker Vater ist ihr privates Problem.
Das ist zwar einerseits grundsätzlich richtig, andererseits kann man arbeitsrechtlich das Problem nicht so plump-platt mit dem Verweis auf "privat" abtun!!!
Wenn der Arbeitgeber hier sein Direktionsrecht ausüben kann und es in Zusammenhang mit der Erkrankung des Vaters zu Problemen kommt, dann hat der Arbeitgeber zu beachten, dass er seine Weisungsbefugnis nach der Gewerbeordnung GewO § 106 nur "nach billigem Ermessen" ausüben darf - er muss also zwingend die persönlichen Belange des Arbeitnehmers berücksichtigen und mit den betrieblichen Belangen abwägen.
Überwiegen objektiv die persönlichen Belange die betrieblichen, darf der Arbeitgeber seine Maßnahmen nicht durchsetzen (im Streitfall müsste darüber ein Gericht entscheiden).
Auch Schwerbehinderte müssen sich an den Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag halten. Können sie dauerhaft die geforderte Arbeitsleistung nicht erfüllen, kann auch rechtwirksam gekündigt werden. auf die Fahrzeit oder familiäre Verhältnisse muss kein Arbeitgeber eingehen.
Ohne Zustimmung der Hauptfürsorgestelle / Integrationsamt kann der AG bei Schwerbehinderung nicht kündigen. Selbst einer Vertragsänderung muß die Arbeitnehmerin nicht zustimmen.
http://www.wernerschell.de/Rechtsalmanach/Behindertenrecht/sonderrecht_fuer_schwerbehinderte.php
siehe dort Kündigungsschutz
......in all unseren Arbeitsverträgen steht nur... 40 Stundenwoche und die Überstunden sind mit dem Gehalt abgegolten. Eine derartige Klausel ist so nicht zulässig, da sie den Arbeitnehmer einseitig benachteiligt.
Schwerbehinderte sind auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freizustellen.
https://www.verdi-bub.de/service/praxistipps/archiv/arztbesuch_waehrend_der_arbeitszeit/
Ob hier möglicherweise sogar ein Anspruch auf Lohnfortzahlung bestand, weil Arzttermine zwingend während der Arbeitszeit notwendig waren, sollte eine entsprechende Sozialberatungsstelle beantworten können. Deine Kollegin ist hoffentlich Mitglied im https://www.sovd.de/ oder https://www.vdk.de/deutschland/ ---- einer vergleichbaren Vereinigung.
Die Abmahnung erfolgte wegen der Minusstunden.
Diese entstanden durch Arztbesuche und kranker Familienangehöriger und Stau.
Die letzten beiden Gründe haben mit der Schwerbehinderung nichts zu tun
Habe ich irgendetwas gegenteiliges behauptet? Meine Aussage ist - vor Kündigung ist die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Das heißt doch nicht das ein Arbeitnehmer unkündbar ist.
Wobei ich im obigen Fall die Vermutung ! habe, dass die Minusstunden durch Arztbesuche entstanden sind. Vielleich kann der/die FS etwas dazu Näheres sagen.
Die Abmahnung erfolgte wegen der Minusstunden.
Nur scheint es hier so zu sein, dass wohl - arbeitsrechtlich gesehen - überhaupt keine Minusstunden entstanden sind (siehe dazu meine Kommentare)!!
Schwerbehinderte sind nicht generell (ordentlich) unkündbar. Vielmehr kann der Arbeitgeber einem Schwerbehinderten „im Prinzip“ ebenso kündigen wie einem nicht behinderten Arbeitnehmer auch. Der besondere Schutz, den Schwerbehinderte gegenüber Kündigungen genießen, liegt im Verfahrensrecht. Der Arbeitgeber braucht nämlich, bevor er einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigt, die Zustimmung des Integrationsamtes zu der geplanten Kündigung. Das ergibt sich aus § 85 SGB IX. Diese Vorschrift lautet:
„Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.“
BEISPIEL: Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer war bereits einmal wegen unentschuldigten Fehlens abgemahnt worden. Einige Wochen nach dieser Abmahnung kommt er erneut ohne Entschuldigung nicht zur Arbeit. Der Arbeitgeber kündigt daraufhin ordentlich aus verhaltensbedingten Gründen, allerdings ohne zuvor die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt zu haben. Die Kündigung wäre an sich rechtens, ist aber wegen § 85 SGB IX unwirksam.
Das Integrationsamt prüft auf der Grundlage eines Antrags des Arbeitgebers, ob die geplante Kündigung mit der Behinderung in Zusammenhang steht oder nicht. Besteht kein solcher Zusammenhang wie insbesondere bei betriebsbedingten Kündigungen und bei verhaltensbedingten Kündigungen, wird die Zustimmung erteilt, wobei mit Bearbeitungszeiten von etwa drei bis vier Wochen gerechnet werden muss.
Der besondere Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen ist nach § 90 Abs.1 SGB IX in einigen Fällen ausgeschlossen, so z.B. dann, wenn das Arbeitsverhältnis des Schwerbehinderten zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch nicht länger als sechs Monate bestanden (§ 90 Abs.1 Nr.1 SGB IX). Dieser Zeitraum entspricht der sechsmonatigen Wartezeit, die alle Arbeitnehmer zurücklegen müssen, bevor sie nach Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in Anspruch nehmen können (§ 1 Abs.1 KSchG).
https://www.hensche.de/Schwerbehinderung\_schwerbehinderter-Mensch\_Schwerbehinderung\_schwerbehinderter-Mensch.html#tocitem10