Darf man bei vollständig flexibilisierter Arbeitszeit freiwillig auch am Sonntag arbeiten?
Hallo,
wir möchten bei uns (Werbeagentur) eine weitestgehende Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort einführen, um es den Mitarbeitern zu ermöglichen, Ihre Arbeitsleistung wann und wo auch immer zu erbringen. Der Wunsch dazu entstand aus der Belegschaft, um einerseits flexibel und individuell Zeiten besonderer Kreativität und Produktivität auszunutzen und es andererseits jedem Kollegen zu erlauben, sein persönliches Work-Life-Balance-Modell auszuleben.
Die Arbeit selbst würde eine solch weitgehende Flexibilisierung durchaus erlauben, da man im Grunde nur ein Notebook und eine Internetverbindung benötigt.
Wir vom Führungsteam würden diesem Wunsch gern entsprechen, da unser Hauptaugenmerk auf einer möglichst hohen Qualität der Ergebnisse liegt und uns bewusst ist, dass diese in unserer Branche sehr stark von der individuellen Zufriedenheit der Mitarbeiter abhängt. Es kann uns im Grunde also egal sein, wann und wo diese Ergebnisse erzielt werden. Wir möchten es also den Kollegen überlassen, zu entscheiden, ob sie lieber von 9 bis 17 Uhr im Büro arbeiten oder abends auf ihrer Terrasse oder gar am Wochenende am Strand. Klingt etwas überzeichnet, stellt aber sehr deutlich unseren "Freiheitsgedanken" dar.
In der Aufstellung des Konzeptes, in dem natürlich auch einige wenige Einschränkungen formuliert werden müssen (z.B. Verfügbarkeiten für Teammeetings/Kundentermine, Erreichbarkeitszeiten, Einhaltung der max. Arbeitszeiten des ArbZG etc.) stoßen wir nun an die offenbar sehr tradierten Schranken des Arbeitnehmerschutzes in Deutschland, die mit Flexibilisierung nicht viel gemein haben.
Z.B. lande ich sehr schnell beim Verbot der Sonntagsarbeit. Hier ist der beabsichtigte Schutz des AN nachvollziehbar, solange es um die Verpflichtung zur selben geht. Wenn ich es nun aber jedem einzelnen Kollegen erlauben möchte, selbst zu entscheiden, wann er arbeitet, dann ist davon auszugehen, dass der eine oder andere ganz sicher auch mal am Sonntag sein Notebook schnappen wird. Weil er gerade eine tolle Idee hat oder einfach den Freitag im Schwimmbad war und deshalb eigenverantwortlich seine Projekte am Wochenende weiterverfolgen möchte. Vielleicht möchte er auch seinem Arbeitszeitkonto ein paar Plusstunden gönnen, um nächsten Monat ein langes Wochenende zu verreisen, ohne Urlaubstage einsetzen zu müssen. Man weiß es nicht. Und es ist mir im Prinzip auch egal.
Alles, was ich im Netz zum Thema Sonntagsarbeit finde, deutet jedoch darauf hin, dass ich ihm das verbieten muss. Ich als AG sozusagen "erzieherisch" wirken müsse, indem ich darauf achte, dass der AN sich bloß nicht selbst ausbeutet. Das tut er aber nicht, da er ja vollständig frei die Entscheidung über die Lage seiner Arbeitszeit trifft. Ich will ja nur, dass er die vereinbarte Arbeitsleistung erbringt. Wie auch immer er das für richtig hält.
Gibt es irgendeinen Weg, dem AN die gewünschte Freiheit, z.B. am Sonntag zu arbeiten, zu gewähren, ohne mich als AG gleich direkt vor den Kadi zu stellen?
1 Antwort
Hallo @altomom,
diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da der Sachverhalt sowohl von der gesetzlichen als auch von der logischen und gesellschaftlichen Seite aus betrachtet werden kann.
Ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn man die Sonntags- und Feiertagsarbeit auch in den kreativen Berufen erlauben würde. Aber der § 10 ArbZG erlaubt dies zurzeit leider nicht, und Verstöße dagegen werden in § 22 ArbZG mit hohen Geldbußen belegt. Insofern muss ich dazu raten, die vorgenannten Bestimmungen einzuhalten.
Allerdings ist es (wie auch in anderen Rechtsbereichen) so, dass der Grundsatz "Wo kein Kläger, da kein Richter" gilt. Nur würde dies im konkreten Fall, wenn sich AG und AN überwerfen würden, und der AN den AG "anschwärzt", nichts nützen.
Eine Möglichkeit wäre, bei der entsprechenden Landesbehörde (siehe
auch https://www.advocard.de/streitlotse/arbeit-und-karriere/sonntagsarbeit-diese-regeln-sollten-arbeitnehmer-kennen/ ) eine Sondergenehmigung zu beantragen. Aber hier prognostiziere ich einen langwierigen und teueren Rechtsstreit, der bis vor den Europäischen Gerichtshof gehen könnte, was die Sache m.E. nicht wert ist.
Teilweise umgehen könnte man die Problematik, wenn die Sonn- und Feiertagszeiten nicht in offiziellen Zeiterfassungslisten oder -protokollen bzw. irgendwelchen Arbeitszeitkonten auftauchen würden, und man stattdessen eine sog. "Vertrauensarbeitszeit" (ohne Zeiterfassung) einführt. Das kann man
aber nur mit (gut bezahlten) verantwortungsvollen, absolut loyalen und
unternehmerisch denkenden Mitarbeitern machen.
Ich wünsche Dir bzw. den Verantwortlichen der Werbeagentur bei der anstehenden Entscheidung eine glückliche Hand.
Gruß @Nightstick
Korrektur:
Sorry, der obige Link funktioniert wohl nicht, aber dieser (mit gleichem Inhalt): http://bayern.dgb.de/themen/++co++dd9038fe-e11e-11e5-ab7f-52540023ef1a
Ist das so, @Familiengerd, dass ein Verbot ausreichen würde? Oder wäre ich gezwungen, die Einhaltung zu kontrollieren?
Die Gefahr der Selbstausbeutung wollen wir ja durch das Arbeitszeitkonto vermeiden. Der Saldo soll nach einem Ampelsystem um die vereinbarten 40h pendeln. Wenn das zu sehr ausschlägt, greifen wir ein. In unserer Branche bringt es keinen Nutzen, ausgepowerte Mitarbeiter zu haben. Das ist uns bewusst. Gerade deshalb wollen wir ja die Flexibilität ermöglichen.
Die Studie schaue ich mir mal an, danke für den Link.
Davon gehe ich mit Sicherheit aus, wenn das Verbot auch sanktioniert wird, das heißt, dass Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen nicht berücksichtigt werden, für den Arbeitnehmer also "verloren" sind.
In einer "Dienstvereinbarung zur Telearbeit an der Universität Duisburg-Essen" heißt es in § 5 "Arbeitszeit" Abs.5 u.a.:
Die Einrichtung des Telearbeitsplatzes sowie die Verteilung und die Lage der Arbeitszeit sind in einer schriftlichen Vereinbarung mit den Beschäftigten festzuhalten. [...]
und in Abs. 6:
Außerhalb der festen Präsenzzeiten können die Beschäftigten die Lage der Arbeitszeit in der häuslichen Arbeitsstätte im Rahmen der gesetzlichen Schutzvorschriften (10 Stunden tägliche Höchstarbeitszeit, Ruhezeit von mindestens 11 Stunden nach der letzten Arbeitsschicht, keine Sonntagsarbeit) flexibel gestalten.
Eine solche schriftliche Vereinbarung kann also auch die selbstständige Arbeitszeiteinteilung unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen beinhalten.
Es wird also nicht erwartet, dass Du jedem Arbeitnehmer zuhause einen "Aufpasser" beistellst, der die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen überwacht.
Es reicht, wenn die Arbeitnehmer vertraglich dazu verpflichtet werden.
Es gibt viele solcher Vereinbarungen, die oben genannte findest Du hier: https://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwiNv8iqstLOAhXnCMAKHY5vC4MQFggrMAE&url=https%3A%2F%2Fwww.uni-due.de%2Fimperia%2Fmd%2Fcontent%2Fpe\_oe%2Forganisationsentwicklung%2Fformular\_und\_dv\_telearbeit\_1-0\_stand\_20140228.pdf&usg=AFQjCNHtwSOHbmku72wdli2uO3VUJ93NDA&bvm=bv.129759880,d.ZGg
Danke @Nightstick, für Deine Antwort. Leider ist das genau der Punkt, an dem ich nicht weiter komme. Denn wir können leider nicht auf die Zeiterfassung verzichten, da wir sie zu Abrechnungs- und Nachweiszwecken für die Kunden benötigen.
Was mich umtreibt, ist das Problem, dass ich den AN zwar offiziell die Sonntagsarbeit untersagen könnte, ich aber allein damit nicht gewährleisten kann, dass sie es nicht doch tun. Ich müsste also eine Kontrollinstanz einführen, alle Erfassungsdaten kontrollieren und im Fall der Fälle den disziplinarischen Finger heben. Im Zweifel wäre ich also gezwungen, einen guten Mitarbeiter zu rügen, der vielleicht gerade durch das selbstbestimmte Arbeiten so gute Ergebnisse abgeliefert hat. Das widerspricht natürlich komplett unserem Gedanken, den Leuten die Freiheit der eigenen Entscheidung zu geben und den Fokus ausschließlich auf die Ergebnisqualität zu legen.
Abgesehen davon erzeugt es administrativen Overhead und schafft ein Klima der Überwachung, was alles andere als produktivitätsfördernd wäre.
Hm, verzwickte Situation. Offensichtlich ist der Staat nicht so modern, wie es die Gesellschaft im 21. Jhdt. erfordern würde. Der vermeintliche Schutz der AN wendet sich hier direkt gegen die Interessen der zu Schützenden. Aber das ist dann eine politische Diskussion, die hier zu führen, sinnlos wäre.
Danke Dir für Deine Einschätzung. Vielleicht finde ich ja noch einen "kreativen" Weg, meinen Mitarbeitern ein möglichst selbstbestimmtes Arbeiten zu ermöglichen.
Gruß, @altomom
Die Mitarbeiter ihre kreativen "Sonntags-Ideen" verwirklichen zu lassen, funktioniert nur bei von mir erwähnten Vertrauensarbeitszeit.
Sobald eine Zeiterfassung betrieben wird, um die Zeiten als Berechnungsgrundlage für die Kunden zu nutzen, wird es nicht mehr funktionieren, weil es für den AG nicht ausreicht, Sonntagsarbeit zu verbieten - er muss diese auch kontrollierend überwachen.
Dann müsste man schon die Sonntagszeiten auf zurückliegende Werktage umschreiben, aber da sehe ich die Grenze des Erlaubten überschritten.
Fazit: "Das Eine was man will, das Andere was man darf..."
Der Arbeitgeber könnte sich von der Problematik der Sonn- und Feiertagsarbeit freistellen, wenn er im Rahmen einer Flexibilisierungsvereinbarung seine Arbeitnehmer vertraglich zur Einhaltung des Arbeitsverbots an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen verpflichtet.
Hier besteht für ihn - meiner Meinung nach - kein großes Hindernis.
Ein Problem sehe ich eher bei den Arbeitnehmern, da solche weitgehenden Flexibilisierungen (bis hin zu Regelungen "gleichgültig, wann und wie lange oder wie kurz gearbeitet wird: alleine das Arbeitsergebnis ist entscheidend") in der Regel zu einer "Selbstausbeutung" der betroffenen Arbeitnehmer mit entsprechenden Folgen führen; das
hat jedenfalls - unabhängig davon, dass eine solche Gefahr logisch nachvollziehbar ist - eine entsprechende begleitende Studie zu einem solchen weitgehenden Flexibilisierungsmodell bei IBM seit Ende der 90er-Jahre (siehe allgemeiner auch "Report - Arbeiten ohne Ende in Bayern":
www.isf-muenchen.de/pdf/report\_arbeit-ohne-ende_161215_doppelseiten.pdf ).