Wieso sieht das Grundgesetz Enteignung vor?

7 Antworten

Vom Fragesteller als hilfreich ausgezeichnet

Die bisherigen Antworten sind leider nicht ganz richtig. Die Grundlage für individuelle Enteignungen, etwa von Grundstücken für Bauprojekte, ist nämlich in Artikel 14 Abs. 3 GG festgeschrieben. Das passiert auch öfter, als man so denkt.

Artikel 15 dagegen geht noch weiter: er ermöglicht die "Vergesellschaftung", also Verstaatlichung ganzer Wirtschaftszweige oder Ressourcen. So könnte beispielsweise der Bergbau oder die Stromerzeugung verstaatlicht werden. Als das Grundgesetz geschrieben wurde, hat die SPD noch die Verstaatlichung der grundlegendsten Industriezweige anstatt der von der CDU bevorzugten sozialen Marktwirtschaft gefordert. Daher kam dieser Artikel ins Grundgesetz. Allerdings wurde er noch nie angewendet.

BjoernWilhelm  23.02.2015, 22:44

In dem Link, den priesterlein dazu angegeben hat, ist das ganz gut zusammengefasst.

sooos  01.03.2015, 19:39

Hast du in den letzten Jahren irgendgleichen gesehen dass "Wirtschaftszweige" verstaatlicht werden. Ich persönlich sehe nur Privatisierungen in Deutschland und die einzig mir bekannten Verstaatlichungen finden im Verkehrswegebau und generell Bauprojekten statt.

BjoernWilhelm  01.03.2015, 21:03
@sooos

Richig. Deshalb habe ich ja auch geschrieben, dass Art. 15 GG noch nie angewendet wurde, weder in den letzten Jahren noch in der ganzen Geschichte der Bundesrepublik. Das war bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes aber noch offen. Wenn in den 1950er Jahren die SPD an die Macht gewählt worden wäre, sähe das vielleicht anders aus.

Wenn ich das richtig sehe, muss man zwei Dinge unterscheiden:

  • Enteignung (Art. 14 GG): Das kann bedeuten, dass dem Eigentümer ein Grundstück ganz weggenommen wird (z.B. für Straßenbau). Es kann aber auch sein, dass das Eigentumsrecht nur soweit beschränkt wird, dass gegen den Willen des Eigentümers eine Gasleitung durchgezogen wird. Das Eigentum am Grundstück behält er, und kann danach auch seinen Acker wieder bestellen. Als Verstaatlichung würde ich das nicht bezeichnen, weil der neue Eigentümer bzw. Nutzer meines Wissens auch eine Firma sein kann.

  • Verstaatlichung (Art. 15 GG): Damit sind tatsächlich nur größere Sozialisierungen gemeint, wie ich sie oben beschrieben habe. In Frankreich beispielsweise wurden nach dem 2. Weltkrieg mehrfach Verstaatlichungen von Banken und großen Industrieunternehmen durchgeführt.

Als das Grundgesetz verabschiedet wurde, war Deutschland gespalten. Es war damals noch nicht 100% sicher, ob man den westlicheren Weg der sozialen Marktwirtschaft geht, oder doch eher den östlichen Weg hin zum Sozialismus und einer Annäherung an die DDR, daher wurde Artikel 15 ins Grundgesetz aufgenommen. Quasi eine Exit-Strategie in den Sozialismus.

gemeinnutz geht VOR eigennutz: wenn das NICHT so geregelt wäre, gäbe es kaum strassen, wasserwege und die verlegung von versorgungsleitungen(strom, kabelnetze+wasser) wäre GRUNDSÄTZLICH mit größeren problemen verbunden.

Dieser Paragraph dient dazu, dass bei größeren Bauprojekten (Autobahnen, Eisenbahntrassen, Flughäfen, etc.) nicht einzelne wenige! Personen dem ganzen Projekt durch Sturrheit den Gar ausmachen.

Der Enteignete erhält eine etwa 105-150%ige Vergütung für die Enteignung und ist somit nicht wirklich enteignet.

In der Regel gibt es nur Landenteignungen, selten dass blöd gesagt Fernseher enteignet werden.

Wie westerwaldmann bereits schrieb, kann das Gemeinwohl über dem Interesse eines Einzelnen liegen. Ein klassisches Beispiel ist z.B. ein Straßen-Neubau, bei dem ein Grundstückseigentümer auf der geplanten Strecke nicht verkaufen will. Dann kann er, mit einer Entschädigung, enteignet werden. Oder ganze Dörfer, die dem Braunkohletagebau weichen mussten. Ein Missbrauch ist insoweit ausgeschlossen, da den Betroffenen der komplette Klageweg bis hin zum BGH offensteht (solche Klagen wurden auch schon gewonnen!).