Eine wohlfühlende, konsensuale Diktatur im Nationalsozialismus?

3 Antworten

Ein guter Grund fehlt, die Versorgung mit Nahrungsmitteln in Deutschland (nicht in den besetzten Gebieten) war für die Nazis vor- und während des Krieges das wichtigste. Das ging auf die Erfahrungen aus dem ersten Weltkrieg zurück, in dem es einige Hungerjahre gab, dass sollte sich in diesem Krieg nicht wiederholen. Man darf dabei nicht erwarten, dass es Nahrungsmittel im Überfluss gab, im Gegenteil es gab Rationierungsmarken und Zuteilungen. Der wichtige Unterschied lag darin, dass es was gab, im ersten Weltkrieg, war einfach nichts da. (Steckrübenwinter)

Es gab nie eine rohstofftechnische Unabhängigkeit. Die Staatsführung hat sehr früh begriffen, dass im Kriegsfall die Ölversorgung knapp wird und man hat nach Alternativen gesucht. Eine davon war die sehr aufwendige Umwandlung von Kohle in Brennstoff. Ich hatte mal ein Doku in Youtube gesehen, da hatte jemand das Thema Hydrierwerke im 3.Reich mit Zahlen aufgearbeitet. Leider finde ich das nicht wieder, jedenfalls konnte man da sehr gut ablesen, dass die Hydrierwerke alleine nicht ausgereicht haben um den Treibstoffbedarf im 3.Reich zu decken. Hier hat man auch lange davon gelebt, dass man vor dem Krieg, viel Material eingelagert hatte und auf diese Reserven zurück greifen konnte.

Meine Meinung ist bis jetzt, dass sich nur die "oberen" im dritten Reich wohl fühlen konnten und aufgrund eines Netzwerks auch recht sicher fühlen konnten.
Mittelstand und Arbeiterschaft waren durch Gesetze, Regeln in der Gesellschaft, Denunziation und schließlich der Gestapo, die außerhalb jedes Rechts operieren konnte, nie sicher.

Von daher weiß ich nicht wie eine wohlfühlende Diktatur aussehen soll. Ich sehe aktuell auch keine aktiven Beispiele in der jüngeren Vergangenheit, wo ich es als erstrebenswert ansehe, dem nachzueifern.

Man darf dabei auch nie Vergessen, dass viele Änderungen nicht von heute auf morgen statt gefunden haben sondern im Laufe der Zeit, im weiter verschärft worden sind.
Für mich ist das auch die Erklärung, warum so viele Menschen nach dem Krieg auf die Frage: "Wie konnte es nur so weit kommen?" keine richtige Antwort gefunden haben. Aus unserer Sicht ist es leicht Kritik zu üben aber wenn man in der Zeit gelebt hat, dann nimmt man viele Änderungen zunächst nicht wahr. Erst später, wenn man wach gerüttelt wird, kommt man darauf, was falsch gelaufen ist.

Thekingofbonn 
Fragesteller
 18.05.2021, 17:31

Ich bedanke mich für diese ausführliche Antwort!

Also ist der Vierjahresplan kein Argument dafür, dass es von einer konsensuale, wohlfühlende Diktatur gehandelt hat?

crunsch  19.05.2021, 21:13
@Thekingofbonn

Es gab ja nicht nur den "einen" vier Jahresplan, dass musste am Anfang auch so sein, um bestimmte Kräfte zu bündeln. Die Nazis haben auch gezielt auf Olympia hin gearbeitet, weil man auch hier früh verstanden hatte, dass es ein Aushängeschild für Deutschland ist. ist auch ein schönes Beispiel dafür, dass die Führung (als auch das Ausland) sich in dem Zeitraum auch im klaren über die Judenverfolgung und Antisemitismus war, denn es gab klare Anweisungen an die Gauleiter und andere Organe, dass in der Zeit der Olympiade sämtliche Aktionen gegen Juden einzustellen sind.

Was auch nicht viele wissen, ist die Tatsache, dass es nach dem Fall Frankreichs in einigen Teilbereichen der Industrieproduktion wieder eine Umstellung auf Friedensproduktion gegeben hatte, da Hitler (obwohl die Operation Seelöwe im Gang war) im Glauben war, dass England angesichts der "deutschen Überlegenheit" einem Frieden zustimmen wird.

Es ist alles so vielschichtig und es gibt soviel Literatur zu dem Thema, das deine Frage nicht so einfach zu beantworten ist.

Gibt auch ein interessantes Buch (müsste jetzt im Regal kramen..) in dem ein Forscher die deutsche Wirtschaft, also die Finanzkraft Deutschlands auf dem internationalen Markt, unter die Lupe genommen haben, weil auch Deutschland auf dem internationalen Markt einkaufen musste.
Da stehen viele interessante Sachen drinnen aber auch viele erschütternde bis hin zum Menschenhandel, wo Juden in die Schweiz verkauft wurden, oder die Schweizer Banken, deutsches Gold gekauft haben und die genau wussten, aus wessen Mündern das gekommen ist...

Genauso wie mehrfach zu lesen ist, dass Himmler mit den Juden und Kriegsgefangenen nicht nur die Fabriken mit Zwangsarbeitern versorgt hat (und sich das bezahlen lies) , sondern z.B. in Außenlagern von Auschwitz (dort gab es nicht nur Vernichtung, sondern auch Produktion) aus Menschenhaaren so eine Art Filz herstellen und weben ließ und aus diesem Filz wurden für die U-Boot Fahrer Filz Überzieher an die Marine verkauft.

Die Bücher von
Shlomo Venezia "Meine Arbeit im Sonderkommando Ausschwitz"
oder
Laurernce Rees "Auschwitz - Geschichte eines Verbrechens"

geben aus zwei unterschiedlichen Richtungen gute Berichte darüber ab, wie der Staat mit den Juden umgegangen ist.

Ziemlich weit ausgeholt aber vieles ist nicht so einfach und je tiefer man gräbt umso mehr findet man raus und dadurch entstehen neue Fragen und man findet immer neue Schweinereien.

Der Judenhass läuft unter Rassenideologie und Herrenmenschenideologie und diese richteten sich auch gegen unwertes Leben aus, d.h. Ausmerzung und Inhaftierung von Sozialisten, Sozialfälle ( Bettler, arme Familien, Obdachlose. Alkoholiker), Sinti und Roma, geistig und körperlich Behinderte, Intellektuelle, Künstler.

In vielen Punkten liegst du richtig nur mit der Vollbeschäftigung passt es nicht ganz, ja es gab wenig leere Arbeitsplätze aber die meisten wurden von Zwangsarbeitern besetzt. Es gab weiter noch deutsche die arbeitslos waren. Das ganze Thema ist echt schwierig zu diskutieren da die meisten keine Ahnung haben und ihre grüne Meinung durchquetschen wollen.

crunsch  18.05.2021, 09:19

Es gab vor dem Krieg bereits die Vollbeschäftigung. Es gab sogar die gesetzliche Pflicht zu arbeiten. Wer dem nicht nachkommt, wurde vorgeladen und ermahnt, bei dem 2. spätestens mit dem 3. Ermahnung ist man in ein sogenanntes Erziehungslager gekommen. Zwangsarbeiter sind erst im Kriegsverlauf in die Rüstungsindustrie gekommen.

Es wird oft vergessen, dass Zwangsarbeiter in der Industrie "organisiert" werden müssen. Das bedeutet, dass diese erst in Zwischenlager verbracht wurden und anschließend durch die Industrie angefordert wurden. Dazu musste aber auch ein Außenlager bei der Fabrik aufgebaut werden, wenn das stand, sind vom Haupt- oder Zwischenlager die benötigten Zwangsarbeiter in das Außenlager verbracht worden. Die Vorgehensweise war hier je nach Kriegsjahr und Zuständigkeit (Wehrmacht oder SS) unterschiedlich. Auch die Herkunft der Kriegsgefangenen spielte dabei eine Rolle. Grob gesagt waren alle aus dem Osten (inkl. Balkan) diejenigen die man "verheizt" hat, also am Arbeitsort tot umfallen konnten, ohne das es jemanden interessiert hat.
Wogegen Kriegsgefangene aus dem Westen oder Norden, oft viel besser behandelt wurden und oft in der Landwirtschaft unter gekommen sind. Diese "Arbeiter" hatten sogar das Privileg sich auf dem Hof frei zu bewegen und waren dort meistens in einem Nebengebäude unter gebracht. Ausnahmen bilden in beiden Fälle die Spezialisten, also Menschen die eine besondere Begabung oder einen besonderen Beruf gelernt hatten.

Alleine wie dieses Thema abgewickelt wurde, füllt Bücher und allzu oft wird hier klar, dass verschiedene "Herren" an den Steuerhebeln, die eigene Tasche gefüllt haben.