Ich verstehe dieses Beispiel nicht?

5 Antworten

Artikel 2 des Grundgesetzes bezieht sich u. a. auf das Sittengesetz.

Grundsätzlich entfaltet das GG nur eine Wirkung zwischen Staat und Bürger:

Die Grundrechte sind ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat und die Grundrechte binden den Staat, diese als Grundlage aller Gesetzgebung zu berücksichtigen.

Das Rechtsverhältnis der Bürger untereinander wird nicht unmittelbar durch das Grundgesetz geregelt; d. h. die Grundrechte gelten in diesem Verhältnis grundsätzlich nicht, sondern private Rechtsbeziehungen werden durch allgemeine Gesetze geregelt.

Das Sittengesetz ist kein festgeschriebenes Gesetz, sondern stellt eine Norm dar, die das umfaßt, was der Allgemeinheit und dem allgemeinen Rechtsempfinden nach, d. h. der Mehrheit der Mitglieder einer Gemeinschaft, als sittengemäß bzw. anstößig gilt = ungeschriebenes Gesetz.

Dem Sittengesetz wird aber auch gesetzlich durch § 242 BGB (Verstoß gegen Treu und Glauben) als Generalklausel Geltung verschafft - eine Generalklausel dieser Art wird, gem. Interpretation durch das BVerfG, mit der mittelbaren Rechtswirkung des GG verbunden.

D. h. daß das Sittengesetz, im Lichte der Grundrechte ausgelegt werden muß - also hier werden die Grundrechte ausnahmsweise mittelbar auch zur Beurteilung bei zivilrechtlichen Beziehungen herangezogen.

Man geht immer noch von einer monogamen Ehe aus - d. h. die Allgemeinheit hält es immer noch für anstößig "fremd zu gehen". Zum grundsätzlichen Wesen der Ehe gehört, daß jeder Ehegatte sich darauf verlassen kann, daß der andere Partner treu ist.

Obwohl Ehebruch nicht strafbar ist, wird es dennoch (immer noch) als Verstoß gegen die guten Sitten angesehen, fremd zu gehen; d. h. jeder Ehegatte ist hier im Sinne des Artikls 2 GG in der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit eingeschränkt - das Übertreten des Sittengesetzes verletzt gleichzeitig den Schutz des betrogenen Ehegatten, der die Treue des Anderen erwarten kann.

Wenn nun das Fremdgehen mit einer solchen Strafzahlung verbunden wird, dann kann man davon ausgehen, daß die Mehrheit der Bürger eine solche Praxis als anstößig betrachten würde.

Wenn nun gegen das Sittengesetz verstoßen wird, dann ist das damit verbundene Rechtsgeschäft (hier eine Bußgeldzahlung = sozusagen ein Freikauf) nichtig, da Grundrechte nicht gegen Geld abgekauft werden können (hier: gegen Zahlung wird die Beschränkung der freien Entfaltung der Persönlichkeit abgekauft).

Daß heißt in der Konsequenz, daß die Strafzahlung zwar grundsätzlich innerhalb der Ehe freiwillig vereinbart werden könnte, wenn beide Ehegatten damit einverstanden sind, aber wenn nicht gezahlt werden würde, hätte man keine Möglichkeit den Zahlungsanspruch rechtlich (gerichtlich) durchzusetzen, weil das Rechtsgeschäft von vorne herein nichtig ist.

Der Rechtsbegriff "Nichtigkeit" eines Rechtsgeschäftes bezieht sich hier nicht auf das GG selbst, sondern es verneint die zivilrechtliche Durchsetzung eines sittenwidrigen Anspruchs.

furbo  17.03.2017, 06:33

Gut erklärt

Diimiitrii  17.03.2017, 19:56

Wichtig finde ich vor allem die Hinweise darauf, dass die Monogamie "noch" Norm ist. Ich finde es wichtig, dass das nicht als absoluter Fakt stehen bleibt. Es ist durchaus möglich, dass sich in Zukunft andere Beziehungsformen stärker durchsetzen werden und auch gesellschaftliche Akzeptanz erlangen. Es gibt schon heute Paare die ihren Partnern gestatten fremd zu gehen oder die sogar zusammen "fremdgehen" ala Orgien etc. 

Natürlich ist das nicht die Norm, aber es ist lange nicht mehr so verpönt wie es einmal war. 

Mit anderen Worten. Heute würdest du den Prozess mit hoher Wahrscheinlichkeit verlieren, wenn du deine 10€ einklagen willst, aber das heißt nicht, dass das für immer so bleibt. Mit mehr Toleranz und Akzeptanz in der Gesellschaft könnte man solch eine Abmachung durchaus rechtswirksam machen.

Mit einem guten Anwalt ist das eventuell sogar jetzt schon vorstellbar.

Du darfst halt nicht nur den ersten Satz des Artikels lesen, sondern auch die Einschränken

Ich kann also nicht jemandem die Treue schwören (mit das Wesen einer Ehe) und gleichzeitig vereinbaren, für jeden Seitensprung zahle ich 10 € in die Untreuekasse

Eine solche Regel verstößt allgemein gegen die Sitten. Deshalb kann man eine solche Regel überhaupt nicht verbindlich festlegen. Kein Richter würde das anerkennen, wenn einer der beiden Ehepartner wegen Verstoßes gegen diese Willenserklärung klagen würde, bzw. es würde schon gar keine Klage zugelassen werden. 

Du stellst durch eine Ehe Regeln auf die du einzuhalten gelobst. Wenn du von vornherein davon ausgehst, dass die Regel (Treue) gebrochen wird, dann solltest du gar nicht erst die Ehe eingehen. Somit ist ein dementsprechendes Versprechen nichtig.


Es ist eine Einschränkung des Artikel 2 denn man kann in einer Ehe nicht mit anderen schlafen auch wenn man es wollen würde

Bitterkraut  16.03.2017, 22:51

Kann man nicht?

atzef  16.03.2017, 22:56
@Bitterkraut

Doch, kann man, man kann sich aber nicht auf rechtsgeschäftliche Vereinbarungen berufen, aus denen man geldwerte Vorteile für Seitensprünge ziehen könnte. :-)