Was muss in Deutschland passieren, damit man auf der Straße landet?

9 Antworten

@warehouse14

Mehrbettzimmer und oftmals Regeln ohne Ende, die keinen Sinn ergeben außer daß sie das Machtbedürfnis der "Sozialarbeiter" stillen

Ich weiß nicht, wie viele derartige "Obdachlosenheime" du kennst, die so sind, wie beschrieben.
Ich kenne welche, weil ich als Sozialarbeiterin im Nordosten Berlins (Marzahn) u.a. auch mit solchen Einrichtungen zu tun habe.

Möbliertes Zweibettzimmer, Sanitäreinheit (Dusche/WC) für diese zwei Bewohner, Gemeinschaftsküche. Waschküche mit WM / Trockner im Keller.
Regeln: keine Fremden zwecks Übernachtung mitbringen, Besucher werden angemeldet. Keine Alkoholexzesse (das Bier vorm Schlafengehen kann ohnehin keiner kontrollieren.) Keine Drogen.
Gewisse Regeln im Umgang mit den anderen Bewohnern verstehen sich irgendwie von selbst - keine Gewalt, keine Pöbeleien, keine Eigentumsdelikte. Wer dagegen verstößt, wird u.U. rausgeworfen.
Dass man dort Sozialarbeiter hat, die sich mit den Bewohnern um ganz alltagspraktische Dinge kümmern - das geht von der Verlängerung des Leistungsantrages bei irgendeinem Amt bis ...
ist keine Bevormundung, sondern Hilfeangebot.
Im übrigen wird die Unterbringung der meisten Bewohner durch JC oder  Sozialamt bezahlt - wenn da einer mit seinen Terminen schlampt und die (Weiter-)Bewilligung des Platzes nicht pünktlich beantragt wird, müsste er den Platz räumen - wenn sich nicht oft genug die von dir geschmähten Sozialarbeiter darum kümmern.

Wenn du den Job mal machen würdest, dann wüsstest du, was diese Leute wirklich leisten. Und dass man fast schon einen masochistischen Touch haben muss, um sich den Job anzutun.

Sicher - eigene Wohnung ist schöner. Aber besser als Notschlafstätte oder Platte allemal.

Und dann schau auch mal, wer da eigentlich obdachlos ist.

Aus meinem Berufsalltag:
-  die 18-jährige Gymnasiastin, deren Mutter sie rausgeworfen hat, weil das Mädchen  den neuen Lover der Mutter stört. Ein halbes Jahr bei irgendwelchen Freundinnen pennen ging nicht - also habe wir sie im einem Wohnprojekt s.o. untergebracht. Sie hat ihr Abi gut gepackt und ist dann ohnehin zum Studium weggezogen.
-  die fast 60-jährige, die nur weg wollte vom alkoholabhängigen Mann, der im Suff auch schon mal gewalttätig wurde. Der aber über das Einkommen verfügte, so dass sich für sie erst mal ein Leistungsprüfungsverfahren und derlei anschloss.
Bis klar war, was sie bekommt (Unterhalt, Sozialleistung) hatte sie dort einen Platz, wo sie erst mal zur Ruhe kam.

Du meinst, Obdachlose sind meist Männer, nachdem geldgierige Frauen ihnen den letzten Groschen aus der Tasche gezogen haben??? Irrtum. Das geht nämlich nicht wirklich.
Es gibt nämlich sog. Selbstbehalte - nicht üppig, aber mehr als ALG II. Nur dass in Trennungssituationen (vor allem, wenn es Kinder gibt), Männer viel schlechter damit zurecht kommen.
Trennung oder Scheidung, Alkohol, Jobverlust, Verschuldung, Wohnungsverlust - so heißt die Kettenreaktion.

Schon mal von "versteckter" Obdachlosigkeit gehört?Wenn Eltern zu ihren Kindern in die eigentlich zu kleine Wohnung ziehen und dort eigentlich nur polizeilich gemeldet sind und im 15m²- Kinderzimmer kampieren?
Der Dreißigjährige, der wieder zur Mutter in deren Mietwohnung zurückzieht, weil er sich aus eigenem Einkommen  keine Wohnung leisten kann und keine Hilfen in Anspruch nehmen will?

Bonitätsprüfung: Wenn in Berlin ein Wohnungssuchender mit dem ALG II-Bescheid kommt und sagt "soviel Miete darf, wird direkt überwiesen", dann freut das so manchen Vermieter.
Kein Trouble mit säumigen Zahlern, sondern Miete pünktlich, eventuelle BK-Nachforderungen ebenfalls.
(gilt allerdings nicht unbedingt für die privaten Vermieter, bei kommunalen kein Problem)

Und was du mit sogenannten Sozialwohnungen meinst- ich vermute, du redest von den Wohnungen, die dem Sozialamt z.Bsp. von Vermietern zwecks Vermietung zur Verfügung gestellt werden.
Da darf man sich allerdings keine Illusionen machen - diese Wohnungen sind oft kaum vermietbar vom Zustand her.
Und werden immer weniger.

Dass der zugebilligte Satz "KdU" für ALG II -Empfänger und die Menge der entsprechenden verfügbaren Wohnungen gerade in Großstädten total auseinandergehen, ist ein altbekanntes Problem.
Und dass sich schon wieder quasi "gettoisierte" Stadtbezirke herausbilden, in denen die soziale Durchmischung längst auf der Strecke geblieben ist - ebenfalls.

Stimmt - es gibt Hilfen, man muss nicht notgedrungen auf der Straße landen.
Schlimm finde ich, dass der Zugang zu den notwendigen Hilfen immer schwieriger wird aufgrund der teilweise völlig absurden bürokratischen Strukturen. Und dass damit - als logische Konsequenz - ein Teil der Menschen damit nicht mehr klarkommt. 

Das sollte man mal überdenken.

Ja, der Großteil von denjenigen, die auf der Straße leben machen das "freiwillig" wenn man das so sagen kann. Die meisten (nicht alle) versuchen es garnicht Hilfe vom Staat zu holen, weil sie sich dafür zu sehr schämen.

Es müsste niemand auf der Straße leben, man kann IMMER was tun.

Obdachlosenheime sind lustig. Mehrbettzimmer und oftmals Regeln ohne Ende, die keinen Sinn ergeben außer daß sie das Machtbedürfnis der "Sozialarbeiter" stillen. Dasselbe gilt für sogenannte Notschlafstellen... Gerade diese sind darauf ausgelegt, dem Obdachlosen nicht wirklich zu helfen... 

Die berühmten Sozialwohnungen werden immer weniger. Und sind meist schon seit Jahren belegt... 

Und hast Du schonmal probiert, mit 'nem H4-Bescheid als Einkommensnachweis 'ne Bude zu mieten? Weißt Du wie hoch die Diskrepanz zwischen ortsüblicher Miete und Mietobergrenze vom Amt real ist?

Und dann schau auch mal, wer da eigentlich obdachlos ist.

Meist sind es Männer, die mal verheiratet waren... Manche sogar mehrmals... Mit irgendwelchen Monsteremanzen die bei der Scheidung genau wussten, wie sie den Kerl restlos ruinieren können.

Versuch mal, mit Pfändungen ohne Ende einen Job zu finden, um 'ne Wohnung zu bekommen. Stichwort Bonitätsprüfung. Abgesehen davon, daß man ohne Bude auch nicht grad 'nen Job findet... 

Und jeder Mensch hat eine psychische Belastungsgrenze. Ist die mal erreicht, geht einfach nichts mehr.

warehouse14

Man muss Hartz IV beantragen. Und zwar, bevor einem die Wohnung fristlos gekündigt wird und der Vermieter eine Räumungsklage anstrengt und gewinnt.

Die fristlose Kündigung gibt es, wenn man zweimal hintereinander die Miete nicht gezahlt hat. Und mit einer Räumungsklage dauert es dann ein paar Monate - aber irgendwann steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür und wirft einen raus.

Und zu diesen Notunterkünften muss man hingehen. Manche möchten das nicht oder wissen das nicht oder haben immer geglaubt, es würde anders gehen oder schämen sich. 

@hardware02

Man kann eine Übernahme der Mietkosten beim Sozialamt beantragen (Sozialamt auch dann, wenn man ALG II bezieht).

Voraussetzung für die Übernahme: der Vermieter setzt das Mietverhältnis fort, wenn die Schulden bezahlt sind. Das will das Amt vom Vermieter schriftlich.
Das muss er aber nicht machen. Er kann den Mieter nach Zahlung der Mietschulden ja fristgerecht kündigen.
Wen der Vermieter also nicht beabsichtigt, den Mieter zu "behalten" (auch nach Zahlung der ausstehenden Mieten), dann werden diese NICHT übernommen.
Und dann hat der Betreffende ein Problem .- keine bescheinigte Mietschuldenfreiheit und keine Wohnung.

Ich denke, diese Leute haben sich aufgegeben, waren vielleicht zuvor schon lebensuntüchtig, hatten aber jemanden, der sich um sie kümmerte. Wenn dieser Jemand wegfällt (z. B. die Mutter stirbt oder die Frau sich scheiden lässt), sind sie hilflos oder schämen sich, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dann kommt Alkohol ins Spiel (evtl. war auch der Alkohol der Scheidungsgrund), dann Jobverlust, dann wird die Miete nicht mehr gezahlt, und zum Schluss landet der Betreffende auf der Straße. Und welcher Vermieter möchte einen schweren Alkoholiker, der die Badewanne nicht von der Toilette unterscheiden kann und nachts herumkrakeelt, als neuen Mieter haben? Die Betreffenden nehmen die Ablehnung wahr, schämen sich mitunter, ihr Selbstbewusstsein leidet, und sie trösten sich mit mehr Alkohol......Das ist ein Teufelskreis. Und dann gehen sie natürlich auch nicht mehr aufs Amt. Hinzu kommt (zumindest in Berlin), dass viele Mittellose aus Osteuropa zuwandern, auf die niemand wartet und für die auch keine Wohnungen bereitstehen. Und die sich mit der ganzen Bürokratie nicht auskennen, vielleicht noch nicht einmal Deutsch verstehen.

Wenn man sieht, wie man manchmal schon um sein bisschen Hartz IV kämpfen muss, wie das Amt versucht, die Leute zu schikanieren oder falsche Bescheide ausstellt (zuungunsten des Hartz-IV-Empfängers), um Geld zu sparen, dann kann man sich vorstellen, dass jemand, der psychisch labil ist, dort lieber gar nicht mehr hingeht.

Obdachlose Frauen bemerkt man seltener, weil diese sich offensichtlich besser unter Kontrolle haben (oder mehr Selbstbewusstsein) und ihre Obdachlosigkeit verstecken. Und wahrscheinlich auch eher auf dem Amt um Hilfe nachsuchen. Diese landen dann wohl eher in den schon genannten Wohnprojekten und finden evtl. mit Hilfe der Sozialarbeiter wieder eine eigene Wohnung.

In seinem Buch "Männer lassen lieben", hat der Psychologe Wilfried Wieck festgestellt, dass die meisten Stadtstreicher am Bahnhof Zoo Männer sind, die von ihren Frauen  verlassen wurden. Aber sie sind nicht etwa dort gelandet, weil ihre geldgierigen Frauen ihnen den letzten Pfennig aus der Tasche gezogen hätten, sondern weil sie ohne die emotionale und häusliche Unterstützung ihrer Frauen nicht allein zurechtgekommen sind. Und die Frauen hatten es satt, immer den Ansprüchen der Männer nachkommen zu müssen, ohne je etwas zurückzubekommen (mal abgesehen vom monatlichen Gehaltsscheck - wenn überhaupt). Das Buch wurde in der 70er oder 80er Jahren geschrieben und scheint immer noch aktuell zu sein.