Konnte man Kinder in der DDR zur Adoption freigeben?

1 Antwort

Die Regelungen waren in der DDR im Familiengesetzbuch (FGB) festgelegt. Das kannst du hier nachlesen (drittes Kapitel) ab § 66.
http://www.verfassungen.de/de/ddr/familiengesetzbuch65.htm

§ 69. (1) Zu einer Annahme an Kindes -Statt ist die Einwilligung der Eltern des Kindes und, sofern es das 14. Lebensjahr vollendet hat, auch des Kindes erforderlich. Die Einwilligung des Vaters eines außerhalb der Ehe geborenen Kindes ist nur erforderlich,. wenn ihm das elterliche Erziehungsrecht übertragen wurde. Hat das Kind einen anderen gesetzlichen Vertreter, ist auch dessen Einwilligung notwendig.

(2) Die Einwilligung ist vor dem Organ der Jugendhilfe oder
in notariell beurkundeter Form zu erklären. Sie ist unwiderruflich.

(3) Die Einwilligung kann erteilt werden, ohne daß die
Eltern des Kindes die Person und den Namen des Annehmenden erfahren.

§ 70. (1) Verweigert ein Elternteil die Einwilligung und steht die Verweigerung dem Wohle des Kindes entgegen oder ergibt sich aus seinem bisherigen Verhalten, daß ihm das Kind und seine Entwicklung gleichgültig sind, kann die Einwilligung dieses Elternteils auf Klage des Organs der Jugendhilfe durch das Gericht ersetzt werden.

(2) Dem Antrag kann auch ohne Einwilligung eines Elternteils entsprochen werden, wenn dieser Elternteil zur Abgabe einer Erklärung für eine nicht absehbare Zeit außerstande ist, ihm das Erziehungsrecht entzogen wurde oder sein Aufenthalt nicht ermittelt werden kann.

In dieser Dissertation zum Thema äußert sich der Autor so:
http://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-3-89958-848-4.volltext.frei.pdf

Der Jugendfürsorger beriet den leiblichen Eltern, die ihr [Kind, d. V.] Zur Adoption freigaben. Es gab Formblätter zur Einwilligung in die Adoption. Neben den Daten der Eltern und des Kindes waren auf dieser Erklärung die vorherige Belehrung (Beratung) über die rechtlichen und tatsächlichen Folgen, über die Tatsache „unwiderruflich“ und die gesetzliche Rechtsgrundlage fixiert. Mit der Unterschrift der Eltern auf die Erklärung wurde die Einwilligung rechtswirksam.

[...]

Im Kontext mit der Ausbildung und den eigenen Werten und Haltungen der verantwortlichen Jugendfürsorger und Referatsleiter fand am Einzelfall eine Vermittlungsarbeit mit unterschiedlicher Ausrichtung und Qualität statt. In vielen Einzelfällen der Herkunftsfamilien zeigten sich Wiederholungen von Biographien und Problemlagen. Eine soziale Aufwertung und Besserstellung des Kindes und die Geborgenheit und Sicherheit einer funktionierenden normalen Familie war das Ziel der Vermittlung. Es ist nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen Jugendfürsorger Mütter aus desolaten Familienverhältnissen, deren Kinder wiederholt, über längere Zeit oder auf Dauer in Heimerziehung untergebracht waren und nicht zurückgeführt werden konnten, bei erneuter Schwangerschaft von der Alternative Adoptionsfreigabe „überzeugten“. Daneben gab es umfassende Beratung und Suche nach alternativen Lösungen vor der Vermittlung. Die Eltern, die ihr Kind zur Adoption freigaben, erhielten von den Jugendfürsorgern eine Wertschätzung ihrer Leistung Adoptionsfreigabe, erlebten jedoch traditionell geprägt in der sozialen Umwelt Abwertung und Stigmatisierung. In dieser vorgenannten Spannbreite könnte die Vermittlung von Adoptivkindern eingeordnet werden.

[...]

Einige abgebende Mütter verwenden im Rückblick und als Legitimation für die nach wie vor eher negativ bewertete Entscheidung Adoptionsfreigabe oder als Deckmantel für damalige Lebenslagen die Pauschalaussage, dass der Staat ihnen die Kinder weggenommen habe. Die Aktenunterlagen dagegen zeigen gegenteilig Vernachlässigungen der Kinder, Alkoholsucht oder Entzug der elterlichen Sorge. Andere abgebende Eltern benennen als Motive u. a. schwierige Lebenslagen ohne familialen Rahmen und Unterstützung, ein zu junges Lebensalter, ungewollte Schwangerschaft, Verlassen durch den Mann oder eine eigene Heimbiographie.

[...]

Bei der zentralen Adoptionsstelle der Stadtverwaltung für Jugend und Familie in Berlin Mitte wurde eine Clearing-Stelle zur Aufklärung der Berliner Fälle eingerichtet. Die Clearing Stelle definierte die Adoptionen als Zwangsadoptionen, wenn den Eltern kein Versagen gegen das Kindeswohl nachweisbar war und ihnen die Kinder wegen politischer Delikte wie „Republikflucht, Staathetze, oder Staatsverleumdung“ (Paulitz/Kannenberg 2000, S. 107) weggenommen wurden. Davon ereigneten sich sechs Fälle in den Jahren 1969 bis 1976 und ein weiterer Fall 1988. In etwa 20 bis 25 Fällen erklärte die Clearing-Stelle gegenüber den leiblichen Eltern, dass auch nach bundesdeutscher Rechtssprechung die Herausnahme der Kinder wegen gravierender Versorgungsmängel und Kindeswohlgefährdung berechtigt gewesen wäre (vgl. Paulitz/Kannenberg 2000, S. 105ff.).

Wenn also Eltern in die Bundesrepublik unter Zurücklassung ihrer Kinder illegal übersiedelten ("flüchteten) und diesem "schlimmen" Staat, in dem sie nicht mehr leben wollten, ihre Kinder überließen und dieser Staat sich dann um die Kinder kümmerte und ihnen eine neue Familie bot, dann war das eine "Zwangsadoption".

Es gibt dann natürlich auch den Einwand, dass Eltern, die ihre Kinder derart im Stich ließen, denkbar ungeeignet waren, Kinder großzuziehen.