Ist 10 € Bußgeld bei 1 minute zu spät kommen bei einem mindestlohn rechtlich erlaubt?

Bußgeldkatalog - (Arbeit, Job, Arbeitsrecht)

4 Antworten

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Ist sowas überhau erlaubt?

Schlicht und einfach: Nein - wenn es keinen Betriebsrat oder anzuwendenden Tarifvertrag gibt!

Eine Anordnung über Betriebsbußen ist dem Arbeitgeber nur erlaubt aufgrund einer Betriebsvereinbarung mit einem Betriebsrat oder einer entsprechenden Bestimmung nach einem anzuwendenden Tarifvertrag.

Eine rein arbeitsvertragliche Vereinbarung zu einer Betriebsbußenregelung ist ebenso wenig erlaubt wie die einseitige Anordnung durch den Arbeitgeber.

Wenn ich davon ausgehe, dass es bei UNO-Pizza weder einen Betriebsrat gibt noch ein Tarifvertrag auf die Arbeitsverhältnisse anzuwenden ist, dann ist dieser einseitig vom Arbeitgeber erlassene Betriebsbußenkatalog rechtswidrig und damit nichtig.

Amtlicher Leitsatz des Bundesarbeitsgerichts BAG im Urteil 17.10.1989, Az.:1 ABR 100/88:

Betriebsbußen können nur aufgrund einer zwischen den Betriebspartnern vereinbarten Betriebsbußenordnung und nur für Verstöße gegen die Regeln über das Ordnungsverhalten verhängt werden. [...] Die einseitig vom Arbeitgeber verhängte Betriebsbuße ist [...] unwirksam.

(Quelle:  https://www.jurion.de/urteile/bag/1989-10-17/1-abr-100_88/  )

Abgesehen davon fehlt es dem hier genannten Betriebsbußenkatalog zum Teil an einer Präzisierung der Verstöße: es wird z.B. nicht differenziert zwischen entschuldigtem und unentschuldigtem Zuspätkommen oder nicht beschrieben, wann ein Fahrzeug nicht "ordnungsgemäß" abgestellt ist ... 

Die rechtswirksame Verhängung von Bußen nach einer Bußordnung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter folgenden Voraussetzungen zulässig:
>  Die Bußordnung muss rechtswirksam geschaffen und bekannt gemacht sein. Sie muss also nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über das Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung gemeinsam mit dem Betriebsrat beschlossen sein.
>  Die Tatbestände, die die Verhängung von Bußen bedingen, sowie Art und Höhe der Bußen müssen in der Bußordnung festgelegt sein. Es muss also konkret gesagt werden, welche Taten mit Buße belegt werden sollen und wie hoch die Buße sein soll. Dabei kann natürlich bei den einzelnen Tatbeständen ein bestimmter Strafrahmen (z. B. Geldbußen von 10 EUR bis zu einem Tagesverdienst) vorgesehen werden.
>  Ein rechtsstaatliches Verfahren muss vorgesehen sein und eingehalten werden. Dazu gehören auch Vorschriften über die Einziehung und Verwendung der Bußen.
> Dem Beschuldigten muss rechtliches Gehör gewährt und eine Vertretung zugelassen werden.
>  Der Betriebsrat muss auch bei der Verhängung der einzelnen Buße im Sinne seines Mitbestimmungsrechts eingeschaltet werden.

(Quelle:  https://www.haufe.de/personal/personal-office-premium/betriebsbussen_idesk_PI10413_HI520659.html  )

Außerdem muss geregelt sein, was mit den eingezogenen Bußgeldern geschieht; sie müssen für z.B. karitative Zwecke oder für betriebliche Sozialeinrichtungen, dürfen also nicht dem Arbeitgeber zufließen!

Bußgelder dürfen bis zu einem Tagesverdienst verhängt werden (wenn sie denn grundsätzlich zulässig sind); über die Angemessenheit müsste gegebenenfalls gerichtlich entschieden werden - aber die Frage der Angemessenheit stellt sich hier ohnehin nicht, wenn diese Bußgeldregelung von vornherein unwirksam ist.

Wie Du Dein Recht allerdings durchsetzen kannst - im Zweifelsfall also kein Bußgeld zahlen zu müssen, da es für den Erlass dieses Bußgeldkatalogs durch den Arbeitgeber keine Rechtsgrundlage gibt, die Verhängung eines Bußgeldes ihm also nicht erlaubt ist -, wenn Du weiter in diesem "Laden" arbeiten, also nicht in eine Deinen Arbeitsplatz gefährdende Auseinandersetzung mit Deinem Arbeitgeber treten willst, ist noch eine ganz andere Frage, die hier nicht zu beantworten ist - "Recht haben" und "Recht bekommen" sind leider viel zu oft zwei sehr verschiedene Dinge ...

wow, vielen Dank für deine Ausführliche Antwort und die rechersche und die Benennung von Quellen. Nein soweit ich weiß gibt es kein Betriebsrat.

@trioxalatt

Wenn es also keinen Betriebsrat und demnach also keine Betriebsvereinbarung zu einer Betriebsbuße gibt, wenn außerdem kein Tarifvertrag mit einer entsprechenden Vereinbarung anzuwenden ist, fehlen schon einmal die formalen Voraussetzung zur Einführung einer Betriebsbuße.

Außerdem, was die "Strafen" für Verspätungen beim Dienstbeginn betrifft:

Selbst wenn die oben genannten formalen Bedingungen erfüllt wäre, dürfte eine solche Strafe in  diesem Fall hier nicht verhängt werden, weil

erstens es an einer Präzisierung der Strafvoraussetzungen fehlt und

zweitens Betriebsbußen nur bei Verstößen gegen die allgemein geltende Betriebsordnung verhängt werden dürfen, nicht aber bei Verletzung individueller arbeitsvertraglicher Verpflichtungen (wie dem pünktlichen Erscheinen zum vereinbarten Arbeitsbeginn); dafür gibt es das arbeitsrechtliche Mittel der Ermahnung oder Abmahnung.

@Familiengerd

Der arbeitgeber (chefsetage) beharrt darauf nichtdestotrotz die bußgelder schnellstmöglich zu sammeln. Ich werde micherstmal verweigern. Und werde hier zum schluss das ergebnis veröffentlichen. Vielen dank nochmal für die ausführliche Antwort.

@trioxalatt

Wenn Du genug Mut, Entschlossenheit und Nerven hast, es auf eine Konfrontation mit dem Arbeitgeber ankommen zu lassen:

Reibe ihm das höchstrichterliche Urteil des Bundesarbeitsgerichts BAG und die zitierte Passage aus der Rechtsanwaltsseite (dieses Zitat ist auf mehreren Seiten zu finden bei der Eingabe des Suchbegriff "Betriebsbuße") unter die Nase.

Sollte er sich weiter "starrköpfig" und uneinsichtig zeigen, steht selbstverständlich auch der Weg einer Klage offen (eventuell mit vorheriger "Androhung"), taktisch klugerweise vielleicht auch erst dann, wenn es zu einem Ende des Arbeitsverhältnisses kommen sollte - vorausgesetzt, es gibt keine vertragliche Ausschlussfrist (arbeitsvertraglich mindestens 3 Monate, tarifvertraglich mindestens 1 Monat), nach deren Verstreichen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erloschen sind; ohne Ausschlussfristen gilt die gesetzliche Frist von 3 Jahren nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch BGB § 195 "Regelmäßige Verjährungsfrist" (für Ansprüche aus 2017 also bis zum 31.12.2020).

Für eine Klage brauchst Du übrigens zunächst einmal auch keinen Anwalt (der ohnehin - unabhängig vom Ausgang des Verfahrens - selbst zu bezahlen ist, wenn man nicht passend rechtsschutzversichert oder kein Gewerkschaftsmitglied ist).

calotti hat eigentlich schon alles gesagt.

Die Frage ist nur, ob man nicht so einen Flyer, oder ein Foto davon, direkt Publik machen sollte. Kann man ja anonym an die Zeitung oder Gewerkschaft versenden, mit der korrekten Adresse.

Irgendeiner wird dann schon auflaufen und Fragen stellen und Euch somit die weiteren bürokratischen Gänge ersparen.

danke für deine Antwort. Ich hab 0 Ahnung an wen ich mich wenden soll. Wo kann man sowas Publik machen? welche Gewerkschaft? Wer kann helfen?

@trioxalatt

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Gewerkschaften_in_Deutschland

Bei Zeitung sind Stern, Focus, View oder auch, immer wieder gern, Bild sehr gut und auch dankbar. Da im Impressum schauen.

www.stern.de/sonst/impressum-www-stern-de-3347228.html

www.bild.de/corporate-site/kontakt-2015/bild-de/kontakt-42366552

. . . Ich hab leider gerade Schwierigkeiten die Links zu kopieren. Aber der Ansatz ist entsprechend ausbaufähig.

Entweder per Post oder anonymer E-Mail Adresse. Good luck!

"Ist sowas überhau erlaubt?"

Nein.

"Wie hoch darf die Strafe sein."

Null. 

"Was kann man dagegen tun?"

Eingefordertes Bußgeld nicht zahlen bzw. evtl. deswegen einbehaltenen Lohn zeitnah mit Fristsetzung einfordern und bei Nichtreaktion per Arbeitsgericht einklagen.

Wird sowas nicht in § Vertragsstrafe geregelt? Hast du eine quelle die das verhindert? Oder gerichtbeschluss?

@trioxalatt

Wird sowas nicht in § Vertragsstrafe geregelt?

Nein.

Betriebsbußen dürfen nur über eine Betriebsvereinbarung mit einem Betriebsrat oder einen anzuwendenden Tarifvertrag verhängt werden.

Über einen Arbeitsvertrag sind sie nicht erlaubt, weil sie sich nicht gegen individuelle Vertragsverstöße richten dürfen, sondern nur Verstöße gegen die betriebliche Ordnung ahnden dürfen.

sowas ist rechtich nicht haltbar....

denen würde ich nen kalten furz zahlen !